Le fabuleux destin de Serge Ecker

22 sep. 2021
Le fabuleux destin de Serge Ecker

© Boris Loder
Artikel auf Deutsch
Auteur: Nora Schleich

Spuren menschlicher Absurdität: Serge Ecker über Raum und Prozess, Unverständnis und Bewältigung

„Ech sinn ee Wurschtler“, lässt Serge Ecker (39) wissen und gibt damit vielleicht ungewollt bereits preis, wie er Kunst ver- und entstehen lässt. Ein zentraler Aspekt seines Schaffens ist der Prozess an sich. Von der Idee zu ihrer materiellen Umsetzung zu gelangen, das ist Serge Ecker mindestens genauso wichtig wie das eigentliche Endresultat.

„Eppes nervt mech, da kucken ech mir dat méi genee un, informéiere mech, liesen no, besichen d’Plaz an dokumentéieren se a kucken dann, wat ech draus maache kann“, beschreibt Ecker die Anfänge seines kreativen Prozesses. Oft sind es kritische und komplexe Situationen, auf die er aufmerksam wird und die eine gewisse Wut und Unzufriedenheit in ihm aufkommen lassen. „Ech empfannen Absurditéit an Onverständnis“, so versteht Ecker sein Empfinden angesichts drängender sozialer Probleme, wie etwa der Flüchtlingskrise („Handle with Care“), der Umweltzerstörung („Fukuyu“, „Raft of the Maritsa“, „Is there a sound when no one listens?“, etc.) oder der Spaltung der Gesellschaft durch Grenzzäune („Borderhopping“, „Untitled Border“ und „Soft Borders“). Die Ausmaße der Flüchtlingskrise hat Serge Ecker 2015 am Bahnhof von Budapest mit eigenen Augen sehen können. Er sah viele Familien mit kranken Kindern und um sie herum ein Reigen von Polizisten, die Hilfe von außen abwehren sollten. Die Verzweiflung der Menschen war ungewohnt greifbar: „Wéi kënnt et, dat ee säi Kand an eng Walis stécht? Dat huet mech immens beschäftegt.“

Serge Ecker, Handle with Care, 2015

Serge Ecker, Handle with Care

Mit dem Werk „Handle with Care“ bringt Serge Ecker diese Absurdität zum Ausdruck. Seine Kunst, sozialkritisch und in sich aufrichtig, zeugt von den verheerenden Eingriffen der Menschheit in die Lebenswelt. Dabei schafft sie einen Raum für wichtige Synergien zwischen Innehalten, Fragen und Verstehen. Der Raum wird somit auf anspruchsvolle Art und Weise vielseitig präsent. Oft stehen verlassene, aber deutlich von Menschenhand gebeutelte Orte im Fokus von Eckers Arbeiten. Sie laden den Betrachter zu einer Pause ein, fordern ein Innehalten, eine Abstraktion der alltäglichen Eile. Die Rekonstruktionen dieser post-apokalyptisch wirkenden Orte sind oftmals mit ganz unterschiedlichen Materialien angefertigt, sei es Stoff, 3D-gedrucktes Plastik, Stahl, Beton, Tapete oder Fotos. Sie veranlassen keine direkte Antwort seitens des Betrachters, sondern erzeugen zunächst ein atmosphärisches Einatmen. Indem der Fokus auf die Leere dieser Areale, die deutlich von einer Zurückgelassenheit und einem „abandon“ geprägt sind, gelenkt wird, entsteht in der Betrachtung das Moment der Inertie, der Passivität. Es beschreibt die besondere Leere, die zwischen Handlungen, Gedanken oder zwei Momenten entsteht: „D’Paus ass eppes, wat mech immens faszinéiert. De japanesche Begrëff ‚MA‘ ass den negative Raum: di Paus wou eng Beweegung ophält an di nächst nach net ugefaangen huet. Am Danz oder am Theater fënnt een dat a Japan oft.“

Dieses Distanznehmen fördert Serge Ecker, indem er sich den ursprünglichen Raum aneignet, von seinem eigentlichen Zusammenhang entlehnt, neu interpretiert und transponiert. Diese Verschiebung von der eigentlichen Räumlichkeit und Bedeutung bedingt bereits ein Innehalten: Das Bekannte wird gesprengt, die natürliche Physikalität umgangen, das eigentliche Verständnis greift nicht. Oft wird der Raum digital dokumentiert, das ursprüngliche Gebäude existiert vielleicht dann schon gar nicht mehr. Doch die Spur, die das Gebäude hinterlässt, wird beibehalten und an einen anderen Ort versetzt. Der Zuschauer nimmt somit eigens an der Prozesshaftigkeit der Werke Eckers teil. Von einem anfänglichen Wundern ausgehend, in dem sich die eigene Wahrnehmung mit dem Befremdlichen erst auseinandersetzen muss, eröffnet sich einem der mentale Raum zur Reflexion. Die Spuren, die in Eckers verlassenen Arealen so einschneidend zum Wirken kommen, verlangen nach einem hohen Maß an Perspektivität. Warum liegen Flugzeugteile in der Wüste Mohaves („Inertia of the Real“)? Was ist mit den verfallenen Häusern („THN_Ojigi“, „GKJ_01“) oder den havarierten Booten („LPD“) passiert? Wie kann es sein, dass die Palmölindustrie solche Schäden in der Natur unbescholten verursachen kann („Ivory Grid“)? Obwohl Ecker diese Spuren nicht absolut explizit behandelt, sind sie doch stets vorhanden, wenn auch durch den veränderten Kontext verschlüsselt. Nach dem Innehalten kommt demnach das Fragen, in dem der Betrachter selbst die kodierten Informationen dechiffriert – oder eben nicht.

Serge Ecker, THN_Ojigi

Serge Ecker, THN_Ojigi

„Ech stellen den Non-Lieu an d’Landschaft, et ass eng Propos, et muss fir sech selwer existéieren, ouni dat ech do sinn muss et eng Stäerkt entwéckelen“, betont Ecker. Das Konzept des „Nicht-Raums“ stellt die Meta-Ebene seiner Kunst dar. Wenn „Raum“ für den Künstler ein stets Vorhandenes meint, ist der Nicht-Raum das, was aus dem aktiven Dasein enthoben wurde, ein Aufgehobenes sowohl im Sinne des Suspendierten als auch des Konservierten. „De Raum gëtt réischt zur Plaz an zum Uert, wann ee sech domat beschäftegt“, fasst Ecker zusammen.

Die Spuren im Raum, mit denen sich der Betrachter intensiv auseinandersetzt, spielen auch eine zentrale Rolle im Schaffensprozess an sich. Wenn die Idee ihn umtreibt, stellt sich oft auch die Frage nach ihrer Verwirklichung: „Ech testen op meng eegen Aart a Weis, schwätze mat Aneren driwwer, froe Leit, déi méi Anung hu wéi ech, an da wiisst dat: dotëscht geschitt also ganz vill.“ Der Austausch mit dem Gegenüber, mit dessen Wissen und Fertigkeiten, ist für Serge Ecker eine Energiequelle. Seine Arbeiten entstehen aus gemeinsamen Gesprächen, aus geteilter Wahrnehmung, aus anderen Perspektiven und deren Zufälligkeit. Die Kunst ist ein deutlicher Ausdruck für ein Miteinander, „dat gëtt mer Energie!“

© Olli Eickholt

© Olli Eickholt

Energie, als das Vermögen, tätig zu sein, bedarf auch des Ausdrucks, einer manifesten Realisation. Da Serge Ecker sehr hohe Ansprüche an die Ausführung seiner Werke stellt kooperiert er viel mit Handwerksbetrieben. Der Austausch des Ideellen, des Digitalen und des rein Materiellen bildet eine weitere Phase des Prozesses, durch den Eckers Werke eine intensive Dynamik erhalten. Dabei ist der Antrieb, von Anfang an die Suche nach der richtigen Lösung für das technische und materielle Schaffen zu finden. „Wéi kréien ech dat Reellt an de Computer – a wéi kréien ech dat Digitaalt rëm an di reell Welt; als Postdigitaalt? Ech muss ëmmer rëm aus dem Digitale rauskommen, déi Spueresécherung am Digitale mat där Transitioun iwwert de Medium, dat fannen ech gutt!“, führt Ecker weiter aus. Der Künstler macht zunächst ein 3D-Scan des Terrains oder Gebäudes. Hier findet bereits eine erste Entlehnung und Abstraktion statt, da der Scanner weder Materie und Struktur noch Haptik als solche aufnehmen kann. Aber auch das stellt ein wichtiges Moment im Prozess der Readaptation des ursprünglichen Raumes dar. Die digitale Verarbeitung ist, entgegen der geläufigen Annahme, auch eine Quelle von Zufälligkeiten: „Et glitcht, de Computer mécht Saachen, un déi’s du net geduecht hues. Heiansdo mécht e Feeler, an da kommen nei Muster raus mat deenen ee spille kann, an da gëtt et interessant. Dat Digitaalt gëtt dann op eemol awer nees méi organesch a méi mënschlech.“

Mit dem „Glitchen“ des Computers wird erneut unterstrichen, wofür Eckers Werke stehen: für den Moment des Innehaltens und der Veränderung, zentrale Etappen in einem stetigen Prozess des Infragestellens, des Interpretierens, des zum Ausdruck Bringens. Dass sich der Künstler hierbei nicht in seiner eigenen Welt einschließt, verdankt er dem steten Austausch mit seiner Umgebung. Die vielen Absurditäten in dieser Welt verleihen ihm die Motivation, sich den drängenden Fragen immer wieder zu widmen.

Serge Ecker, Urban Corals

Serge Ecker, Urban Corals

Serge Eckers neueste Installation „Urban Corals“ kann in naher Zukunft beim „Pôle d’Echange Luxexpo“ besucht werden. Im Rahmen des WaterWalls Festivals ist seine Arbeit „Floating Pixel“ noch bis Ende September in Esch-Sauer installiert. Andere bekannte Skulpturen wie die „Melusina“ sind am Ufer der hauptstädtischen Alzette zu finden. Wer sich gerade in Wien aufhält kann auch zwei Werke Eckers im „Kunstraum am Schauplatz“ besichtigen. 2022 wird aber auch noch einige Neuigkeiten bereithalten, unter anderem ein Projekt des „DKollektiv“, ein Landschaftsprojekt in Kayl und eine Skulptur in Kaunas (Litauen), die Serge Ecker mit dem litauischen Künstler Algimantas Slapikas zusammen entwirft.

www.sergeecker.com