Gefüllte Leere - Die Fotokunst von Sophie Becker

14 nov. 2022
Gefüllte Leere - Die Fotokunst von Sophie Becker

©Jill Ries
Artikel auf Deutsch
Auteur: Nora Schleich

Malerei und Fotografie, Architektur und Organisches, Einsamkeit und Gesellschaft – in der Fotokunst Sophie Beckers finden sich viele Intersektionen, die den Werken eine ganz eigene und besondere Ästhetik verleihen. In der Ausstellung Frisch Photography vom 11.–14.11. in Bonnevoie zeigt die junge Fotografin ihre Werke zum ersten Mal offiziell. Im Gespräch erzählt Sophie Becker, wie sie durch Fotografie Wahrnehmung und Emotion der Lebenswelt einfängt.

Fotografie als Kunstform – wie verstehen Sie das?

SB: Früher habe ich mich mehr dem Zeichnen und Malen gewidmet, aber es fehlte mir dabei die Möglichkeit, direkte Momentaufnahmen zu gestalten. Fotografie erlaubt es, von einer einzigen Sekunde zu profitieren, um einen Moment festzuhalten. Ich finde das sehr faszinierend. Ein Schnappschuss wird dann zur ästhetischen Erinnerung und kann tiefe Emotionen wachrufen.

Wann ist ein Schnappschuss eine ästhetische Erfahrung oder gar Kunst?

Bei vielen Fotos merke ich erst im Nachhinein, dass das Bild ‚das gewisse Etwas‘ hat. Da man meist digital fotografiert hat man die Tendenz, sehr viele Bilder von allem zu schießen. Das macht es schwierig, die Magie des Moments zu erkennen und sich darauf zu konzentrieren. Ich versuche meine Aufnahmen zu reduzieren und mich auf eine bestimmte Wahrnehmung zu konzentrieren. Wenn ich im Stress bin oder unbedingt ein gutes Foto machen möchte, gelingt es meist ohnehin nicht.

Ein Foto hat für mich das gewisse Extra, wenn ich davor stehe und es wird eine Erinnerung in mir wachgerufen, die ich aber nicht klar erkennen oder benennen kann, sondern die ich spüre – es ist also vor allem ein Gefühl, das aufkommt. So flüchtig das Gefühl auch sein kann, so beständig ist dann aber wieder das Foto. Mit dem Foto wird der kurze Moment, der spontane Schnappschuss, langlebig, es ist das einzige, was von dem Augenblick übrig bleibt.

Der Maler Edward Hopper ist eine große Inspirationsquelle, wie macht sich das bemerkbar?

Hopper ist tatsächlich mein Lieblingskünstler. Das Thema, das bei ihm oft wiederkehrt ist die Einsamkeit. Im Amerikanischen Realismus des frühen 20. Jahrhunderts hat man angefangen, die Leere im modernen Leben verstärkt zu thematisieren. Das ist bis heute ein Phänomen, das in unserer Gesellschaft beobachtbar bleibt und als Konzept viele Kunstwerke prägt. Auch für mich ist dies weiterhin ganz aktuell und ich möchte das Thema auf meine Art reflektieren. Heute hat sich zwar viel verändert, jedoch ist es nach wie vor so, dass man sich auch in einer von Menschen gefüllten Straße absolut einsam fühlen kann. Man muss also nicht alleine sein, um Einsamkeit zu erleben.

Stilistisch greife ich Hopper auf, indem ich für meine Fotos einen hohen Körnungsgrad und starke Kontraste wähle. Das erinnert an ein Gemälde, es sieht ein bisschen aus wie gemalt. So verweise ich im Foto auf die Malerei Hoppers. Wenn ich vor einem Bild von Hopper stehe, zum Beispiel „Nighthawks“, versetze ich mich in die Situation der nachdenklichen Person, die alleine im Café sitzt. Das kennen wir alle aus dem richtigen Leben: diese Szenen, wo man nachdenklich umherwandelt, vielleicht gerade im Zug sitzt oder auch zu Hause. Es ist nicht wirklich absolute Einsamkeit oder ein Vakuum, sondern eher eine gefüllte Leere. Das klingt widersprüchlich, ist es aber nicht wirklich. Man ist zwar alleine und nicht aktiv handelnd, an einem Ort, wo es keine Ablenkung für einen gibt, aber man füllt diese Leere dann mit den eigenen Gedanken und Reflexionen. Das schafft eine ganz eigene und für mich sehr spannende Atmosphäre.

Sophie Becker
© Sophie Becker

Wie setzen Sie dieses Thema visuell um?

Oft sieht man bei meinen Bildern eine Kombination von statischer Architektur und organischen, lebendigen Elementen, wie Pflanzen, Tiere oder Menschen. Wichtig sind mir dabei klare Linien und eine etwas nüchterne Ordnung. Dabei muss das keine bestimmte Linie sein, die einem direkt ins Auge springt. Das kann auch eine Kombination sein, eine Dachlinie und wegfliegende Vögel – genau wie im Leben gibt es nicht nur das Eine oder das Andere, das das Ganze ausmacht. Manchmal wird das Offensichtliche auch gebrochen, wodurch es erst interessant wird. Für das Foto bedeutet das, dass es von einem Rhythmus bestimmt wird, der sich ganzheitlich übersetzt zeigt. Die Komposition des Bildes ist dabei natürlich zentral, erst wenn es dem Auge auch angenehm erscheint, kann das Foto wirken.

Sophie Becker
© Sophie Becker

Bei dem Bild des Bettlers, der vor einer Kirche in Marseille sitzt, und der von eintretenden Touristen und pompösen Säulen umrahmt wird, ist die Komposition zwar nach wie vor grundlegend, die gesellschaftskritische Dimension meines zentralen Themas tritt hier aber auch hervor: Einsamkeit ist vorhanden, aber keine gewählte, sondern es ist eine existenzielle, er hat keine andere Wahl.

Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

Ich durfte immer schon mit den Kameras meines Vaters meine Ideen ausprobieren, mit 10 oder 11 habe ich viel getestet. Ich fing aber erst an, mich mehr dafür zu interessieren und mein Auge zu schulen, als ich mit dem Handy Fotos gemacht habe. Die Qualität stimmt aber dabei oft nicht und auch das Auftreten bei anderen Menschen ist ganz anders; niemand wird gerne mit dem Handy abgelichtet. Ich habe dann angefangen mit der Kamera aus dem Haus zu gehen und sie automatisch dabei zu haben. Wenn ich nach Plan losgehe, um zu Knipsen, entsteht meist kein gutes Bild. Ich warte ab, bis das richtige Gefühl und der richtige Zeitpunkt da ist und nehme dann die Kamera in die Hand. In Zukunft wird es für mich bei der Fotografie als Hobby bleiben, es freut mich natürlich sehr, wenn ich bei Ausstellungen dabei sein kann. Da ich Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaften studiere, wird meine Berufswahl wohl diesen Bereich abdecken, wobei Fotografie aber da ja auch gut zu integrieren ist – wer weiß, wo es hingehen wird!

Sie waren dieses Jahr bei Generation Art (RTL), wie hat Sie das beeinflusst?

Ich habe dort sehr viele interessante Leute kennengelernt, unter anderem auch Pit Reding, der die Ausstellung bei Frisch organisiert hat. Persönlich hat es mich aber auch bestärkt: Da ich früh ausgeschieden bin, weil ich eine falsche Wahl getroffen hatte, habe ich draus gelernt und bin jetzt selbstsicherer geworden. Ich merke, dass ich nun mehr auf mich höre und meiner Intuition nachgehe: Man macht mal Fehler, aber das sind wichtige Erfahrungen.

Wie ist es für Sie, an einer Ausstellung teilzunehmen?

Das ist meine erste Vernissage und Ausstellung! Am Anfang war es ein wenig surreal, bin ich wirklich bei einer richtigen Ausstellung dabei? Ich habe mir früh Gedanken über mein Thema gemacht und auch meine Fotokollektion durchforstet. Es war interessant zu sehen, dass sowohl ältere wie neuere Werke meist das Thema Einsamkeit und Hopper streiften. Ich habe eine kleine Auswahl von fünf Bildern getroffen, die ich als Sequenz nun bei Frisch Photography ausstelle. Es war auch neu für mich, mir Preise für die Fotos zu überlegen, sollen die Bilder einen Titel haben? Wie soll ich sie rahmen, wie lassen sich die Besucher wohl ansprechen? Es war ein wunderbarer Moment, um mich selbst und meine Kunst zu reflektieren. Normalerweise macht man das ja nicht so oft, aber es bringt einen deutlich weiter. Es ist ein ganzer Prozess und das Endergebnis weicht dabei dann doch oft vom anfänglichen Plan ab. Ich zeige nun wenige Bilder ohne Titel, begleitet von einem kleinen Text und einem kurzen Gedicht von Kästner. Es ist bewusst alles eher interpretationsoffen gehalten, damit die Leute sich Fragen stellen, nachdenken und Gefühle aufkommen lassen können.

Begutachten können Sie die Werke von Sophie Becker noch ein letztes Mal am heutigen Montag, wie auch die anderen Exponate bei der Frisch Ausstellung:

Die Ausstellung lebt von einer dynamischen Mischung aus professionellen und Hobbyfotografen. Von Videokunst über Streetphotography, Portraits, Aktbildern und sogar ganzen Installationen ist für jedes interessierte Auge etwas dabei.

Letzter Tag: Montag, 14.11.2022
Ausstellungsort: 5, rue Jules Fischer, Luxembourg
Eintritt frei.

Sophie Becker @ Instagram: anso.arts

© Portrait: Jill Ries

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