05 oct. 2021Gérard Cravatte: Ein harter Brocken Kolonialgeschichte
Wahlmanipulation, ethnische Säuberung und Bürgerkrieg – diese Gräueltaten und vieles mehr hat der Luxemburger Direktor der bedeutendsten Diamantenmine des Kongos 1960 ausgeführt. Über dieses dunkle und bis jetzt unbekannte Kapitel der Luxemburger Kolonialgeschichte klärt das neue Theaterstück von Richtung22 auf, das heute seine Premiere im Théâtre du Centaure feiert. Wie immer scheut sich das Künstlerkollektiv nicht davor, Luxemburger*innen mit ihrer eigenen Kolonialgeschichte zu konfrontieren und wachzurütteln. Ungemütlich kann es also für den*die eine*n oder andere*n werden, aber genau darauf zielt das satirische Informationsspektakel ab. Einen Einblick ins Stück Gérard Cravatte erhalten wir im Gespräch mit Gabriel le Taillefert von Richtung22.
In eurem neuen Stück setzt ihr euch mit der späten Kolonialgeschichte des Kongos auseinander, und zwar anhand des Diamantenkonzerns Forminière und dessen Direktor Gérard Cravatte. Wie ist die Idee dafür entstanden?
Wir befassen uns schon seit längerem mit dem Thema Postkolonialismus in Luxemburg und in unseren Recherchen sind wir immer wieder auf den Kongo gestoßen. Letztendlich haben wir auch Gérard Cravatte in den Unternehmensarchiven von Forminière (heutzutage die Firma Sibeca) in Brüssel entdeckt. Es hat sich herausgestellt, dass der Luxemburger Direktor die Unabhängigkeit des Kongos um 1960 sabotiert hat, in dem er Wahlkampfauftritte finanziell unterstützte, Milizen gründete und Attentate auf den Regierungschef finanzierte. Bisher hat sich kein Mensch in Luxemburg dafür interessiert.
© Michelle Kleyr
Von den Archiven bis zum fertigen Skript war es aber wohl noch ein langer Weg. Wie seid ihr da vorgegangen?
Wir waren dreimal in den Brüsseler Archiven und haben jedes Mal mehr als 1.000 Dokumente abfotografiert. Dann mussten wir natürlich alles aufarbeiten. Besonders schwierig war es, die Kodenamen zu entschlüsseln. Es gab auch Trippelagenten. Was das Skript angeht: Wir machen ja eher Dokumentartheater, das heißt wir zitieren die meiste Zeit aus den Quellen, aber übersetzen halt ins Luxemburgische. Tatsächlich sind wir gar nicht so witzig, die Leute waren an sich witzig, da kommt das satirische Element von ganz alleine!
Aber das Kuratieren der Zitate und die Übersetzung ins Luxemburgische ist bestimmt auch viel Arbeit.
Ja, und alles in Dialoge zu bringen! Zum Beispiel mussten wir auch Budgets darstellen und inszenieren, damit das Publikum weiß, wieviel Geld wohin gegangen ist. Das Stück behandelt ein ernstes Thema, da kann man vieles falsch machen. Es muss auf der einen Seite historisch akkurat sein, auf der anderen aber auch nicht entschuldigen, was passiert ist. Wir dürfen es nicht bagatellisieren. Letztendlich hat der Kolonialismus im Kongo über 10 Millionen Opfer gefordert. Das ist schon ein Minenfeld.
© Michelle Kleyr
Darauf lässt sich aber Richtung22 sehr gerne ein, oder? Diese schwierigen, ungemütlichen Fragen aufzugreifen ist ja euer Markenzeichen geworden.
Wir wohnen in einem Land, in dem man anderen nicht gerne auf die Füße tritt und eigentlich alles mit Samthandschuhen anfassen muss. In unseren Satiren halten wir Luxemburger*innen einen Spiegel durch die Kunst vor. Deshalb machen wir das auch auf Luxemburgisch. Es ist nämlich etwas ganz anderes, wenn jemand so etwas in der eigenen Sprache hört. Die Distanz zur Geschichte ist nicht da, es ist viel direkter. Die Leute müssen sich bewusst werden, wieviel Schaden dieses Land angerichtet hat statt sich ein gutes Gewissen einzureden, dass Luxemburg bei der Kolonialisierung gar nicht dabei war.
Uns wurde schon öfters gesagt, dass wir die „Schwäikanner“ aus Luxemburg sind! Wir seien nie zufrieden und hätten immer etwas zu meckern. Es ist nicht so, dass wir nicht zufrieden sind, sondern es muss einfach noch vieles auf den Tisch. Es gibt noch viel aufzudecken, was nicht in der Presse vorkommt. Weil Luxemburg so ein kleines Ländchen ist, wo alle sich kennen, traut sich keine*r etwas zu sagen. Wir versuchen dagegen anzukämpfen.
Das Theaterstück Gérard Cravatte findet am 5., 6., 7., 8. und 9. Oktober 2021 um 20h00 im Théâtre du Centaure statt. Gratis-Plätze können per E-Mail reserviert werden: ticket@richtung22.org (COVID-Check Event).
Im Rahmen der Kampagne „Lëtzebuerg dekoloniséieren!“ in Kooperation mit Lëtz Rise Up hat Richtung22 ebenfalls Stadtführungen zur Kolonialgeschichte Luxemburgs entwickelt, die nun jederzeit via App abgerufen werden können.
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