13 juil. 2021Gelesen – Geliebt – Gelenkt? Dr. Manuela di Franco über die Macht der Comics
Comics – sie gelten als nette Freizeitunterhaltung, als Lektüre für Kinder oder auch als Symbole der Popkultur. Von manchen belächelt, von anderen geliebt und gepriesen; den Bildergeschichten kommt eine ganze Menge mehr an Bedeutung und Gewicht zu, als es auf den ersten Moment scheinen mag. Dr. Manuela Di Franco, ihres Zeichens Forscherin zu Popkultur und Geschlechterrepräsentanz, weiß um die Tragweite der vermeintlich unterschätzten Comics. Ihre Forschung widmet sich einer ganz spezifischen Perspektive: den unterschwellig vermittelten, propagandistischen Nachrichten, die im Gewand des unschuldigen Comics daherkommen.
Am 1. Juli 2021 ließ Dr. Di Franco die Öffentlichkeit an Ihren Erkenntnissen teilhaben: Die Luxemburgische UNESCO-Kommission, das Kulturministerium und die Nationalbibliothek luden ein zum Abend: «Mankind & Media: Propagandistic Messages in Comics», wo Dr. Di Franco das Publikum mit zahlreichen Beispielen in das Thema Propaganda und Informationsvermittlung durch Comics einführte.
Captain America ehrt die 9/11-Feuerwehrmänner © Künstler Rio & Mason
So unterhalt- und publikumswirksam Spiderman, Captain America und alle ihre Mitstreiter auch daherkommen mögen, ihnen ist vor allen Dingen eines gemein: Sie sind keineswegs bloße Unterhaltungsmedien. Dass dies kein Phänomen der Aktualität ist, dürfe wenig verwundern. Bereits lange bevor die amerikanisierten Comics in ihrer typischen Form, mit Sprechblasen, catchy Farben und bewundernswerten Hauptfiguren mit Starkult in Europa daherkamen, wurde das Potenzial der Illustrationen bereits erkannt. Die Zeichnungen stellen ein willkommenes Medium dar, um auch einem jüngeren Zielpublikum Informationen zu übermitteln.
Mit den 1895 publizierten Bildergeschichten um Max und Moritz gilt Wilhelm Busch als Vorreiter der europäischen Comics. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Comics auch für Erwachsene zusehends populärer: Comicstreifen in Tageszeitungen wurden bald zu vielgelesenen Seiten – die Massenproduktion der kurzen Bildergeschichten hatte begonnen. Schnell wuchsen die Comics aus den Tageszeitungen heraus, sodass 1929 das erste eigenständige Comicheft in America erscheinen durfte.
«Superman steht 1938 am Anfang des goldenen Zeitalters des Comics», so Di Franco. Die Zeitspanne ist natürlich auch politisch behaftet. Mit dem Aufstieg der Nazis und den Faschisten in Italien wurde das politische und das soziale Status Quo der Gesellschaft neu gemischt – und Comics sollten dabei eine wichtige Rolle einnehmen. Wenngleich die Nazis Comics als «Schmutz und Schund» abtaten, bediente sich die faschistische italienische Regierung gerne dieses Mediums, um das Bild des feindlichen Amerikaners und des heroischen Italieners zu propagieren. Da es dato nur sehr wenige italienische Comicautoren gab, mussten die amerikanischen Comics als Blaupause herhalten. Damit das Volk aber nicht Gefallen an den amerikanisierten, und damals in Italien verpönten, Werken fand und dem Italienkult weiter huldigte, wurden die Comics angepasst. Kleidung und Gesichtszüge, Namen und Sprachgebrauch sollte italienisch wirken: «Ein Rollkragenpulli und blonde Haare wirkten zu amerikanisch, lieber sah man ein fesches Hemd und dunkelhaarige Männer, die mit ihren markanten Gesichtszügen an Mussolini erinnerten», zeigt Di Franco. Und ja, beim genauen Hinsehen fallen einem auf einmal solche kleinen Details auf, die tatsächlich den «Ton» der Bildgeschichte auffallend verändern. «Für Propagandazwecke eignen sich Comics wunderbar», erklärt Di Franco weiter. «Wollen wir uns amüsieren und unterhalten lassen, sind unsere kritischen Abwehrsysteme nicht aktiviert. Wir achten weniger auf Details und konsumieren das, was uns angeboten wird.» Dies ist für das Vermitteln von manipulativen Inhalten natürlich sehr dienlich. Propaganda lebt davon, dass der Leser oder der Zuschauer nicht merkt, dass ihm bewusst ausgewählte Inhalte übermittelt werden, die einen Einfluss auf seine Weltsicht haben sollen. Propaganda gibt es in vielen Formen – politische, militärische oder kommerzielle – es geht immer darum, dass eine Gruppe von Menschen bestimmte Ansichten annehmen sollen.
Daredevil bekämpft Hitler - Published Lev Gleason Publications
Im Zweiten Weltkrieg wurde dies bereits mehr als deutlich: Die Superhelden kämpfen gegen die feindlichen Kräfte. Superman beendet glorreich bereits 1940 (!) den Krieg, Daredevil verpasst Hitler einen Schlag ins Gesicht – das Heft erscheint im Juli 1941, einige Monate bevor sich die United States überhaupt erst offiziell am Krieg beteiligten. In den Köpfen der Amerikaner zu Hause war der Krieg weit weg und eher abstrakt. Wie sollte man den Einsatz der Truppen und die horrenden Militärausgaben legitimieren, wie sollte die Bevölkerung dazu animiert werden, den amerikanischen Soldaten Unterstützung zu leisten?
Es galt also, die Sicht der Amerikaner auf den Krieg so zu gestalten, dass sie sich intrinsisch motiviert fühlten und sowohl den Krieg als auch den Einsatz ihrer Mitbürger als der Lage angemessen ansahen. Daher wurden in den Comics Feindbilder sehr deutlich als das zu vernichtende Übel genutzt und die amerikanische Streitkraft als der moralisch einwandfreie Heros, der für die Nation und Frieden kämpft. Der Krieg gestaltete sich als patriotischen Einsatz, von zu Hause aus sollten sich die Leute beteiligen können: finanzielle Hilfen und moralische Unterstützung galten als notwendig, um sich der Nation würdig zu erweisen. Dies suggeriert auch Captain America, der offensichtlich an die patriotistischen Werte der amerikanischen Bevölkerung appellierte. Die Comichelden brachten das Thema in die eigenen vier Wände, und noch wichtiger: in die Gesinnung der Kinder und Jugendlichen und auch der erwachsenen Bevölkerung. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg sollten die Comichelden der Bevölkerung Widerstandsfähigkeit und klare moralische und soziopolitische Normen einprägen: Der Kalte Krieg und die mitschwingende nukleare Bedrohung wurden durch Hulk und Spiderman thematisiert, nach 9/11 sieht man Captain America gegen Araber kämpfen und den tapferen Feuerwehrmännern huldigen.
Auch heute noch haben diese amerikanischen Superhelden ein unglaubliches Renommee. Hollywood bringt neue Filme auf den Markt; der Kult um die Hauptfiguren ist ungebrochen. Dank der gewichtigen Unterstützung der Regierung läuft die Verteilung der Geschichten also nahezu wie von selbst. Wer jedoch einmal mit dem geschärften Auge die Superheldenmissionen verfolgt, dem wird das eine oder andere Mal angesichts der implizit enthaltenen propagandistischen Nachrichten etwas mulmig.
Peanuts Franklin als erster Character of Colour © Peanuts
Dass Comics Kulturgut übertragen können, sieht man allerdings auch in anderen Formen. Die Peanuts, die weltbekannte Comicreihe um Snoopy und Charlie Brown, entpuppten sich als Vorreiterrolle: 1968, rund eine Woche nach dem Mord an Martin Luther King Jr erschien mit «Franklin» erstmals ein «Character of Colour» in den gezeichneten Geschichten. «Hier erkennt man deutlich, Comics sind mehr als bloße Unterhaltungs- oder Propagandamedien», unterlegt Di Franco. Neben bloß fiktiven oder politischen Formen nehmen Comics auch in historischer Sicht ihren Platz ein: Mit «Maus» erzählt der Autor Spiegelmann von den schrecklichen Gräueltaten, die sein jüdischer Vater im Holocaust erleben musste. Die Figuren sind Tiere, die Juden als Mäuse, die Nazis als Katzen und die polnischen Bürger als Schweine illustriert. Spiegelmann entscheidet sich damit zwar für eine leserfreundliche, weil gewaltärmere Darstellung, schafft aber gleichsam Raum für Reflexion: Die Symbolik der Geschichte regt den Leser deutlich zum Nachdenken an. Dass die Ereignisse dann doch auf Tatsachen basieren, lässt Geschichte aufleben und nachvollziehen, dies auf eine ästhetische und nahbare Weise, die so manch trocknen Geschichtsunterricht um Längen überbietet. Auch «Persepolis», eine autobiografische Geschichte einer jungen Iranerin, Marjane Satrapi, ermöglicht eine Annäherung an eine im Westen meist unbekannte Kultur. Manuela Di Franco weist auf die Reichhaltigkeit von «Persepolis» hin: «Die graphische Fiktion von Satrapi zeigt Schlüsselmomente der iranischen Geschichte und reflektiert gleichsam über die Identität und Migration. Zwei Narrative geben sich in dem Comic die Hand: die Geschichte einer Nation, des Irans, und die einer Kindheit.»
Der große Unterschied zwischen den letztgenannten und den populären amerikanisierten Comics rund um das Marvel Imperium ist deutlich: Geschichten wie «Maus» oder «Persepolis» laden zum Nachdenken ein, sie setzen gezielt auf die Fähigkeit des Lesers, sich selbst mit dem übermittelten Inhalt auseinander zu setzen und seine eigene Meinung, gerne kritisch, zu dem Thema zu bilden. Sie fördern Diskurs und Diskussion, wohingegen die politisierten Botschaften in propagandistisch-motivierten Comics eher unbemerkt zum Tragen kommen sollen. Doch es liegt an uns Lesern, dem keine Chance zu geben: «Wir sollten Comics schätzen, nicht als Produkt leichter Unterhaltung oder Lektüre ausschließlich für Kinder, sondern als Möglichkeit zum kulturellen Austausch und zur Reflexion über die Gesellschaft. Erfreuen Sie sich natürlich an der Kunst und der Geschichte der Comicbücher, aber bleiben Sie auch bezüglich der möglicherweise versteckten Botschaften wachsam!», schließt Di Franco.
Persepolis - Pantheon: Media tie-in edition
Das Publikum zeigte sich sichtlich begeistert und engagierte sich umfassend in der folgenden Frage-Antwort Runde. Dass so manch einer verblüfft und erstaunt nach Hause ging, mit vielen neuen Informationen und Erkenntnissen, dies dürfte die Veranstalter des Abends freuen. Die «Rendez-vous de l’UNESCO» stehen für Aufklärung und Information, Austausch und Reflexion. Grundpfeiler, die der Vortrag von Dr. Di Franco mit Sicherheit erfüllt hat. In Kürze dürfte die Konferenz auf den Frequenzen des Senders 100,7 zu hören und darauffolgend online auf dessen Internetseite abrufbar sein.
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